Die netten Nachbarn unserer Nachbarn

Die netten Nachbarn unserer Nachbarn

Der Kaiserwasser See in Wien ist ein beliebter Platz für Groß und Klein

“Freundlich sein und morgens Hallo sagen, damit sich die Leute gut fühlen”  Niklas, 29, Angestellter

In einer kleineren Gruppe von vier Personen fahren wir an einen Badesee an der Donau, das Königswasser. Dort sollen sich – laut einem Tipp vom Wiener Roten Kreuz – viele Ur-Wiener aufhalten, durch die wir Meinungen zum Thema Flüchtlinge in Österreich vergleichen wollen. Unsere Frage ist einfach: Was macht einen guten Nachbarn aus?

„Der Glaube an Gott ist das einzig Wichtige“  Christine, 70, Rentnerin

Da unsere Frage relativ einfach zu beantworten ist und nicht direkt etwas mit unserem Thema zu tun hat, stellen wir noch eine weitere, komplexere Frage: Was wäre, wenn dieser Nachbar ein Geflüchteter wäre?

Ein guter Nachbar soll mein Leben nicht negativ beeinflussen, wir sollten eine gute Beziehung haben, auch wenn es kulturelle Uneinigkeiten gibt. Ich kenne Leute, die sich wegen des Themas Sorgen machen, aber ich denke, unsere Gesellschaft ist – egal ob mit oder ohne Flüchtlinge  – gleichermaßen normal“  Oktavier, 44, Bauarbeiter

Als wir ankommen scheint die Sonne und viele Menschen sitzen herum, essen, trinken, spielen und schwimmen. Ob hier die Menschen wirklich die Ur-Wiener sind, können wir auf den ersten Blick nicht sagen, die Menschen sehen genauso aus wie überall: Familien mit Kindern, Paare, Jugendliche, Hipster, Ökos und Assis.

 „Die Herkunft ist nicht unbedingt wichtig, man sollte,  egal in welchem Land man ist, die Kultur, die dort vorherrscht, annehmen und auch leben, dann funktioniert es. Wenn nicht, kommt es zu Problemen, die so nicht nötig wären, denn es geht um Integration“  James, 42, Familienvater

Die Stimmung uns gegenüber ist geteilt: Viele Menschen schütteln bereits den Kopf, wenn wir nur auf sie zugehen, manche äußern ganz klar, dass sie nichts von Interviews und den Medien halten. Außerdem verstehen uns nur überraschend wenige Menschen oder nur auf Englisch. Arbeiter, die hinter der Wiese am See ein Haus anstreichen, können uns nur sehr brüchig und mit vielen Gesten erklären, dass sie aus Polen kommen und gar nichts verstehen. Ein Schaustellerpaar, das mit Perücken und Mänteln als altes Wiener Paar verkleidet ist, sagt uns, dass sie nicht mit uns reden können, weil sie kein Interesse an der Wiener Politik haben. Sehr suspekt.

Wir versuchen polnische Gastarbeiter am See zu interviewen – leider vergeblich

„Es gibt da keinen Unterschied, außer die [Geflüchteten] machen was sie wollen oder stinken alles voll, das habe ich auch schon erlebt, aber solang sie sich benehmen… wir müssen ja nichts miteinander zu tun haben. Außerdem stehe ich auf bitte und danke, dann kann ich mich auch benehmen“ Horst, 37, Wohnungsloser

Egal wie unterschiedlich die Meinungen auch sind, für alle muss ein Nachbar eins sein: freundlich. Die meisten Passanten haben keine Probleme mit Nachbarn aus anderen Ländern, mit anderer Sprache und anderer Kultur. Sie unterscheiden nur zwischen höflich und nicht höflich, offen oder verschlossen. Manche gehen sogar weiter und wünschen sich Geflüchtete als Nachbarn, um selbst etwas lernen zu können.

„Leise sein ist gut [lacht], aber ansonsten ist es natürlich absolut egal woher die Person kommt, es kann ja auch eine Bereicherung sein wenn man dadurch mehr über andere Kulturen lernt! “  Irene, 26, Studentin

Jedoch hören wir auch immer wieder, wie viele Menschen sich gegen Flüchtlingsheime oder Unterkünfte in der Nachbarschaft stellen. Indirekte Vorurteile prägen die Menschen, oft haben sie kaum oder gar keine Kontaktpunkte zu Ausländern, die ihre Meinung eventuell ändern könnten.

„So Jugoslawen…. Naja… die sollen nicht immer ihre Türe offen lassen. Aber meine Nachbarin ist Koreanerin, wir haben uns einmal gesehen und verstehen uns dafür echt gut, sie grüßt mich immer mit „konitschiwa“. Also eigentlich bin ich da deshalb total offen zu dem Thema“  Robert, 39, Arbeitssuchend

Nach den Interviews brauchen wir bei den Temperaturen erst einmal eine Pause

Erst wenn es soweit ist, dass das Heim steht und die Menschen in Kontakt mit den Geflüchteten kommen, stellt sich heraus, dass die Begegnung ein Meinungsbild verändern kann. Das wird auch uns noch einmal klar: Am Ende unseres Ausflugs an das Kaiserwasser treffen wir eine Person, die selbst als Flüchtling nach Österreich gekommen ist und nun ein erfolgreicher Student ist. Zu uns ist er genau das, was sich alle anderen (Ur-)Wiener in den Umfragen zuvor gewünscht haben: offen, direkt, reflektiert und freundlich. Freundlich, wie jeder andere Nachbar.

„Gute Nachbarn sollten auf jeden Fall einfach freundlich sein und mich willkommen heißen und akzeptieren. Wir sind gute Menschen und alle sollten sich integrieren, auch wenn wir jetzt wo anders sind, ist es wichtig, dass sich alle verstehen“  Daniel, 20, Student, selbst nach Österreich geflüchtet

von Miriam Wilms, Christian Egermann, Max Bier und Linus Fleischer

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