Mein Tag beim Wiener Roten Kreuz

Mein Tag beim Wiener Roten Kreuz

9:00 Uhr morgens. Es ist warm in Österreich. Unser Tag beginnt mit einem Tagesimpuls von Tina. Ein Gedankenspiel: „Was wäre, wenn in Deutschland Krieg ausbricht? Du musst fliehen, denn deine Wohnung ist zerstört. Aber wohin? Niemand will die dekadenten Menschen aus dem Norden bei sich aufnehmen…“ Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Noch nie zuvor habe ich darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn ich selbst aus meiner Heimat fliehen müsste.
Wir sind heute beim Wiener Roten Kreuz eingeladen. Zu Fuß machen wir uns auf den Weg. Mittlerweile ist es halb zehn und die Sonne hat die Straßenzüge zwischen den hohen Häuserreihen bereits ordentlich aufgeheizt. Souverän von Isabell geführt erreichen wir nach einem kurzen Spaziergang das Haus Baumgarten. Es handelt sich um ein Gebäude, dass 1902 erbaut und zunächst als Pflegeanstalt genutzt wurde.
Dort erwartet uns ein Team aus drei festangestellten Mitarbeitern vom Roten Kreuz. Wir werden herzlich begrüßt, gut verpflegt, suchen uns ein schattiges Plätzchen und bekommen einen Einblick, inwieweit das Wiener Rote Kreuz Flüchtlingen hilft. Zwischendurch gibt es die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Nicht nur wir sind neugierig. Was uns antreibt, auf diese Reise zu gehen und was wir uns erhoffen wollen die drei von uns wissen.
Wir erfahren, dass im Jahr 2015 die staatlichen Aufnahmestellen dem Zustrom an Menschen nicht mehr gerecht werden konnten und private Organisationen wie das Rote Kreuz in der Not- und Grundversorgung aktiv wurden. Durch die Genfer Flüchtlingskonvention ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass jeder Flüchtling eine Grundversorgung erhält. Das bedeutet, man hat ein Dach über dem Kopf, sanitäre Einrichtungen zur Verfügung und etwas zu essen. In der Grundversorgung erhalten die Geflüchteten 38, 50€ wöchentlich für Verpflegung, monatlich 40€ Taschengeld und 10 € für Freizeitaktivitäten sowie etwas Geld für Kleidung. Die Einrichtung hat den Vorteil, dass es genügend Betten, sanitäre Einrichtungen und sogar Gemeinschaftsküchen, in denen die Bewohner sich selbst versorgen können, gibt. Nach unserem Gespräch erhalten wir eine kleine Führung durchs Haus und können uns alles ansehen.
Auch das Rote Kreuz erhält pro Geflüchteten Geld vom Staat. Davon wird unter anderem die Miete für die Gebäude finanziert. Bewohner unter 18 erhalten besondere Förderungen, sie leben zum Beispiel in kleinen WGs, wenn sie unbegleitet nach Österreich gekommen sind. Die meisten Bewohner sind allerdings Männer zwischen 20 und 30. Es gibt auch die Möglichkeit, als Familie im Haus Baumgarten zu leben. Zusammen mit Annette und Sophia, besuche ich eine Mutter aus Afghanistan, die mit ihren fünf Kindern dort in einem Raum lebt. Sie warten seit fast drei Jahren auf ihren Asylbescheid.
Später wurde die Gruppe aufgeteilt. Waleed, der vor vier Jahren aus Syrien geflohen ist, übernimmt meine Gruppe und zeigt uns die Ecken Wiens, die ihm am besten gefallen. Er hat in Syrien Rechtswissenschaften studiert, müsste in Deutschland aber noch 11 Prüfungen schreiben, damit sein Abschluss anerkannt würde. Momentan macht er ein Praktikum beim Wiener Roten Kreuz. Waleed lebt gerne in Wien. Er nennt es seine neue Heimat.
Mit der U-Bahn fahren wir zum Petersplatz. Zum Glück erwischen wir eine mit gelben Haltesäulen, denn die sind klimatisiert. Auf unserer Tour bestaunen wir die Peterskirche, ein russisches Kriegsdenkmal, die Nationalbibliothek und die Wiener Oper. Am Stephansdom treffen sich die beiden Gruppen wieder und es geht weiter mit der journalistischen Arbeit. Zusammen mit Annette und Sophia bin ich in der Wiener Fußgängerzone unterwegs. Angestoßen durch Tinas Morgenimpuls wollen wir von den Menschen auf der Straße wissen, was für sie Heimat bedeutet, und was sie tun würden, wenn in ihrer Heimat ein Krieg ausbricht. Viele entscheiden sich dazu, in anliegende Länder zu fliehen, aber einige wollen auch in ihrer Heimat bleiben, um diese zu verteidigen. Was würde ich tun? Für mich habe ich trotz der vielen Eindrücke heute noch keine Antwort gefunden. Was würdest du tun?

von Anna Diekamp

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